Expertenbeiträge
 
Serie Kulturkonflikte in der Pandemie
Impfstoffentwicklung - kontroverse Vorgehensweisen
Autor: Joanne Huang
19.12.2020
 

Seit der globalen Ausbreitung des Coronavirus in März 2020 läuft die Entwicklung von Impfstoffen auf Hochtouren. 47 Impfstoffkandidaten aus über 200 Impfstoffforschungen befanden sich bis Oktober bereits in klinischen Studien (Phase 1-3) (WHO, Stand: 02.Nov. 2020)(1). In November gab es bei der Impfstoff-Entwicklung aus Europa, den USA und China positive Meldungen. Biontech/Pfizer (Deutschland/US) und Moderna (US) reichten am 1. Dezember als erste die Zulassungsanträge in der EU und den Vereinigten Staaten ein. AstraZeneca (UK/Schweden) legte ein gutes Ergebnis mit abgeschlossenen klinischen Studien vor. Weitere Pharmakonzerne wie Sanofi (Frankreich), Johnson & Johnson (USA), Sinovac (China) und Sputnik (Russland) sollen kurz vor dem Studienabschluss stehen. (2)

Während die ganze Welt gespannt auf den Start der Impfungen wartete, wagte China einen großen Schritt. Seit September ist der Impfstoff von Sinovac in der chinesischen Küstenprovinz Zhejiang für 400 Renminbi erhältlich (3), das sind umgerechnet 50 Euro. Im November begann Sinovac, eine große Menge der Impfstoffe an Indonesien und Brasilien zu liefern.(4)
Diese Nachricht ist verwirrend, weil sich dieser Impfstoff bisher noch in der klinischen Phase III befindet. Wie ist es überhaupt möglich, einen noch nicht zugelassenen Impfstoff auf den Markt zu bringen? Geht es vielleicht darum, sich einen Vorsprung vor den Konkurrenten zu verschaffen? Sinovac beantwortet diese Fragen damit, dass die beiden Länder an der dritten Studienphase teilnehmen. Der Vorverkauf in China sei lediglich ein Notprogram, um Personen, die beruflich dringend reisen müssen, entgegenzukommen.

Unternehmer mit China-Erfahrung erkennen eine derartige Vorgehensweise aus dem eigenen Arbeitsumfeld wieder. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung eines Neuprodukts. Während Deutsche daran festhalten, sich Zeit für eine gesicherte Produktqualität zu nehmen, drängen chinesische Partner oft darauf, noch nicht ausgereifte Produkte zügig auf dem Markt zu bringen, um den Marktbedarf zu decken. Über diesen Punkt können sich deutsche und chinesische Partner selten einigen. Der Corona-Forschungswettbewerb ist ein wunderbares Spiegelbild für die verschiedenen Arbeitsmentalitäten der Weltgemeinschaft.

Die 2018 in Deutschland und der Volksrepublik China durchgeführten Feldstudien "Internationaler Vergleich landespezifischer Arbeitsdisziplinen" (Springer, 2020)(5) erklären die kulturbedingten Hintergründe dafür. Seit Chinas Öffnung ist viel geschehen. Eine Annäherung zwischen dem Westen und China hat der Studie zufolge in vielen Bereichen zwar stattgefunden, aber die Differenz zwischen den Arbeitsmentalitäten besteht weiterhin. Das untere Schaubild zeigt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen deutschen und chinesischen Handlungsweisen im geschäftlichen Bereich.

Bild: Ein Vergleich der deutschen und chinesischen Arbeitsweisen

Fotoquelle: Huang+Jaumann Wirtschaftsbüro

 

Es liegt oft an den feinen Unterschieden in der persönlichen Wahrnehmung, die zu gegensätzlichen Handlungsentscheidungen führen. So ist beispielsweise die Dokumentation für Deutsche extrem wichtig, aber für viele Chinesen eine reine Zeitverschwendung und somit eine Arbeitsbehinderung. Dahinter verbirgt sich unter anderem die unausgesprochene Befürchtung chinesischer Mitarbeiter, persönliche Wettbewerbsvorteile zu verlieren, wenn sie dieses Wissen mit anderen teilen.

Bei der Projektausführung arbeiten Deutsche daran, sich auf ein Projekt gut vorzubereiten und möglichst viele denkbare Risiken und Hindernisse im Vorfeld einzukalkulieren (ganzheitliche Bearbeitung). Im Gegensatz dazu folgen Chinesen dem Prinzip: "Learning by Doing". Es ist ihnen lieber, ein Projekt nach der nötigen Vorbereitung zügig zu starten und weitere Projektschritte anhand der laufenden Gegebenheiten zu korrigieren (spontane Bearbeitung). Ihr Motto lautet: "Ende gut, alles gut".

Dies hat auch mit den Prioritäten des Partners zu tun. Ist die Qualitätssicherung oder eine zügige Markterschließung wichtiger? Hat die Produktsicherheit den Vorrang oder das Ansehen eines Managers/eines Landes? Jedes Land setzt bewusst seine eigenen Prioritäten. Wenn es darauf ankommt, stellt sich die Frage: Wie orientiert sich ein Individuum? In der Studie betonten chinesische Befragte, dass es ganz wichtig sei, den Arbeitsvorschriften zu folgen. Sie sehen es jedoch als Pflicht, sich den Ranghöheren zu unterwerfen, auch wenn sie deren Entscheidung für falsch halten.

Man kann darüber streiten, welche Arbeitsdisziplin besser ist. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sehr schwierig ist, Menschen aus ihren jeweiligen Kulturen zu verändern. Jeder von uns ist geprägt von der eigenen Kultur, man trägt sie in sich und ist davon überzeugt, eine Arbeit mit den am besten geeigneten Methoden auszuführen. Hierin besteht auch die Herausforderung im Diversity Management, trotz der Vielfalt eines internationalen Teams eine Einigung zu erzielen. Wichtig ist es, sich gegenseitig zu respektieren. Auf dieser Basis erhöht sich dann die Bereitschaft für Gespräche und Kompromisse.


 


Literatur:

(1) https://www.who.int/publications/m/item/draft-landscape-of-covid-19-candidate-vaccines, Abrufen: 14.12.2020
(2) https://www.swr.de/wissen/corona-so-weit-ist-die-impfstoff-entwicklung-100.html , Abrufen: 14.12.2020
(3) https://www.bbc.com/zhongwen/trad/chinese-news-55251508, Abrufen: 15.12.2020
(4) https://news.cts.com.tw/cts/international/202010/202010212017758.html, Abrufen: 15.12.2020
(5) Huang, Joanne: "Sino-German Intercultural Management - Self-Organization, Communication and Conflict Resolution in a Digital Age", 2020, Springer Verlag

 


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